-Streets of The City-
Sein Plan, sich in einem Krankenhaus mit den nötigen Bandagen zu versorgen, auf einem Friedhof ein paar Kerzen für die Menschen anzuzünden, die er heute hatte töten müssen und sich danach an einem ruhigen Ort auszuruhen, wurde von einer Sackgasse durchkreuzt. Auf seinem Weg durch die Kanalisation hatte Rain zwar schon Gerüchte von oben aufschnappen können, dass es durch eine Flut zu teils starken Beschädigungen in der Stadt gekommen war, jedoch hatte er sich aufgrund der gut ausgebauten, sauberen und hochmodernen Kanalisation keine großen Gedanken gemacht. Der gähnende Abgrund, der nun vor ihm lag, strafte seine Naivität Lügen. Durch einen kleinen Rundgang hatte er schnell festgestellt, dass er zwei Möglichkeiten hatte, um das circa fünf mal drei Meter große Loch zu umgehen. Die erste war, noch weiter nach unten zu steigen, wo er zwar relativ sicher, aber genauso orientierungslos war. Also keine wirkliche Möglichkeit... reflektierte er.
Die einzige - und auch unausweichliche - wirkliche Möglichkeit war es, den Weg nach oben zu wählen. Dann müsste er improvisieren, war vielleicht sogar auf fremde Hilfe angewiesen, denn langsam aber sicher machten sich die Strapazen des Tages bemerkbar und ihm war klar, dass er seinen Marsch nicht viel länger fortsetzen konnte. Seine zweite Garderobe bestand aus einer legeren beigefarbenen Hose, die sein orange schimmerndes Fell schön betonte sowie einem grau-weiß gestreiften Cardigan, der wiederum im farblichen Einklang mit den weißen Partien seines Fells und den Schnurrhaaren stand. Alles in einem gab er darin ein ziemlich unschuldiges und süßes Bild ab, weshalb er gedachte, die Kleidung alsbald zu wechseln. Dann spitzten sich jedoch seine Ohren, als Geräusche von oben zu ihm drangen. Und schon erklingt der lieblich schrillende Alarmton in seinem Kopf.
"Der Boden knarzt, " murmelte er für sich selbst kaum hörbar, "aber die Person ist sehr leicht... Vermutlich ein junges Mädchen..." Er entspannte sich augenblicklich ein wenig. Ein junges Mädchen würde ihm eher nicht so viel Böses wollen wie die vier ehemaligen Elitesoldaten, die er heute hatte töten müssen. "Vielleicht, " so hoffte er, "wendet sich ja mein Glück?" Er blickte hinauf. Eine, wie er sofort erkannte, relativ schön anzusehende Schülerin bewegte sich nahe des Abgrundes. Sie trug eine gepflegte Schuluniform und blickte in den Abgrund, der sicherlich keinen schönen Anblick für sie bot. Dann trafen sich ihre grünen und seine bernsteinfarbenen Augen.
Er hatte bislang nichts Schöneres erblicken dürfen als diese Augen. Und er wusste, wenn ihm solch ein hübsches Wesen Böses wollte, dann lohnte sich das Leben nicht und er ginge freiwillig zurück ins Labor; zurück zu den skrupellosen Wissenschaftlern und den angeheuerten Söldnern, um einen Schlussstrich unter sein bemitleidenswertes Leben zu ziehen. Zum ersten Mal spürte er Hoffnung. Und sollte er nun auch diese verlieren, was hatte er denn dann überhaupt noch zu verlieren?
Er machte sich keine Gedanken darüber, welchen Eindruck er in Kampfmontur wohl machte, dass er vorher die Kleidung hätte wechseln sollen und dass er vorher und auch jetzt unvorsichtig gewesen war. Töten, was ihm nie leicht gefallen war, schien ein Witz zu sein im Gegensatz zu dem Mut, den er für diese eine Frage aufbringen musste:
"Entschuldigung, " fragte er schüchtern, "kannst du mir vielleicht helfen?"